Vasamuseet, Stockholm
Månsson & Dahlbäck Arkitektkontor, 1990
„Die Vasa war das großartigste Kriegsschiff ihrer Zeit.
Ihre Zeit währte am 10. August 1628 von 15:40 Uhr bis 16:00 Uhr. “
P. J. O’Rourke
Mißglückte Großprojekte haben nicht nur in der Architektur Tradition. Im Jahr 1625 begannen auf Befehl von König Gustav II. Adolf die Bauarbeiten an der schwedischen Galeone Vasa. Während des Dreißigjährigen Krieges wollte die aufstrebende lutherische Seegroßmacht Schweden mit einem Kriegsschiff von 69 Metern Länge, 12 Metern Breite und einem fast 52 Meter hohen Großmast ein Zeichen gegen das katholische Polen setzen. Die anschliessende Serie fahrlässiger Entscheidungen ist Exempel menschlicher Hybris und göttlicher Nemesis und kann als Lehrstück für verhängnisvolles Projektmanagement dienen.
Zur Dimensionierung des beispiellosen Dreimasters verwendete man im 17. Jahrhundert Abmessungstabellen, die sich in der Vergangenheit für den Bau kleinerer Schiffe bewährt hatten. Ausserdem wurden laut zeitgenössischen Dokumenten im Laufe der dreijährigen Bauphase die Konstruktionspläne geändert. Als Reaktion auf Spionageberichte über die Planung einer ähnlich mächtigen Kriegsmaschine in Polen ordnete der Bauherr eine drastische Erhöhung der Geschütze auf dem Oberdeck an: Mit 64 Bronzekanonen entsprach die Feuerkraft der Vasa der gesamten polnischen Flotte. Trotz der 120 Tonnen Ballast in Form schwerer Steine im Rumpf des Schiffes resultierte das maritime Wettrüsten in einer bedrohlichen Topplastigkeit. Im Anschluss an einen misslungenem „Elchtest“ wurde das Flaggschiff auf Jungfernfahrt geschickt und kenterte nach weniger als einer Seemeile. Für den sicheren Schiffsverkehr wurden die Masten der Vasa gekappt. Lediglich einzelne Kanonenteile konnten geborgen werden.
Anfang der 1950er Jahre erkannte Anders Franzén die Bedeutung der Tatsache, dass der Schiffsbohrwurm Teredo navalis sich nicht im Brackwasser der Ostsee aufhält. Der hohe Schwefelanteil des Wassers unterstützt zusätzlich die Konservierung des Baustoffs Holz. Erfolgreich machte sich der Meeresarchäologe auf die Suche nach dem Wrack der Vasa, das er 1961 nach 333 Jahren in einem spektakulären Bergungsprojekt wieder ans Tageslicht beförderte. Im Verlauf langjähriger Konservierungsarbeiten wurde das Wasser im Wrack durch Polyethylenglykol absorbiert und die Vasa zur Ausstellung flottgemacht. An dem 1981 ausgelobten Architekturwettbewerb beteiligten sich 385 Büros und das „Vasamuseet“, in dem rund 95 Prozent der Originalteile besichtigt werden können, eröffnete 1990.
Wie ein Handschuh schmiegt sich das Museum um sein zentrales Exponat. Stilisierte Masten zeigen die frühere Rigghöhe der Vasa. Als fraktale Landschaft kontrastiert das Kupferdach mit farbigen Holzpaneelen, die andere Teile des Gebäudes bedecken. Im Zusammenspiel wecken sie Assoziationen sowohl mit Schiffen wie mit Häusern. Ist das ein auf den Maßstab 1:1 skaliertes Buddelschiff? Gebäude oder Gebilde? Dank seiner Stealth-Oberfläche entgeht das Museum dieser Frage und ist vielleicht keines von beiden.
Bereits der erste Blick in den Innenraum brennt sich in der Netzhaut ein und wird zur unvergesslichen Erinnerung, denn ohne Vorwarnung sind die Besucher mit dem Herzstück der Ausstellung konfrontiert. Wie aus dem Nichts ragt in einer dunklen Halle das gewaltige, mit Hunderten geschnitzten Skulpturen übersäte, hochplastische hölzerne Artefakt bis zur Decke empor. In bester Science-Fiction-Tradition („Alien“ von Ridley Scott, 1979) entdecken Touristen ein fremdes, dunkles Schiff, das in mystischem Zwielicht zu brüten scheint. Als konservatorische Notwendigkeiten verstärken konstante Temperatur und hohe Luftfeuchtigkeit diesen Eindruck und schaffen eine spezifische museale Atmosphäre. Inflationär gebrauchte Attribute wie Präsenz und Aura können angesichts des Raum-Schiffs adäquat verwendet werden, denn der authentische ästhetische Ausdrucks der Vasa ist überwältigend und macht sprachlos – besonders im Vergleich zum unsäglichen Piratenkitsch mit dem Jerry Bruckheimer seit mehr als zehn Jahren die Kinoleinwände befeuert.
Diese Museumsarchitektur macht sich nicht wichtig oder drängt sich in den Vordergrund. Vielleicht ist der bewusst einfache Kanon der Bau- und Ausbaumaterialien eine Reminiszenz an Werkstätten oder Werfthallen: Sichtbeton, Holzfaserplatten, Bretterfußboden, Pflastersteine, Kalksteinbelag und dunkelgraue Stahlprofile. Sie bilden einen angemessenen Rahmen für das unmittelbare Erlebnis von Konstruktion und Gestaltung des einzigartigen maritimen Holzbaus auf verschiedenen Ebenen. Denn nicht zuletzt ist das Bauwerk auch eine Zeitmaschine. Eingefroren im Schutz des baltischen Brackwassers ist das fast unversehrte Kriegsschiff bis in unsere Tage gereist. Sein Maß- und Raumanzug erlaubt diesem fliegenden Holländer ein vergangenes Zeitalter für uns am Leben zu erhalten. Die kuriosen Umstände seines Untergangs hallen als liebevoller Spott bis heute in den skandinavischen Nachbarländern nach. Doch aus heutiger Sicht ist die Tragödie von einst ein grosser Glücksfall und Krönung eines Ausflugs auf die Insel Djurgården.
von Andreas Kretzer, Juniorprofessor Technische Universität Kaiserslautern, 23.07.2017
Weitere Abbildungen:
https://anmm.files.wordpress.com/2016/06/museum-exterior.jpg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/59/Vasamuseet_2008.jpg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f6/Vasamuseet_2009d.jpg
zur Person:
Normalerweise lassen wir die Texte der Beiträge erstmal Korrekturlesen – nicht so bei Andreas. So tief ist unser Vertrauen in seine Korrektheit. Umso plastischer wirkt natürlich – zumindest für uns – seine Darstellung zu einem missglückten Großprojekt.