dieses Mal Simon Rötsch:
Wohnanlage Kunigundenstraße, München
Den klassischen Architekturkanon in der Lehre erweitern und Münchner Architektinnen mit einer Website und einer Ausstellung aus der Vergessenheit holen – das ist das Ziel des Forschungsprojekts „Frauen Bauen München“, das in den vergangenen zwei Jahren an der TU München in der Zusammenarbeit von drei Lehrstühlen, den vier Projektverantwortlichen Doris Hallama, Jana Hartmann, Anna Jacob und Zora Syren und vielen Studierenden entstanden ist. Ein Haus, das uns alle über die gesamte Projektzeit immer besonders fasziniert hat, ist die Wohnanlage Kunigundenstraße von Roswitha und Rudi Then Bergh. 1939 in Salzburg geboren, gründet Roswitha Then Bergh nach ihrem Architekturstudium an der damaligen TH München zusammen mit ihrem Mann Rudi Then Bergh schnell das eigene Architekturbüro R + R Then Bergh.
Die Wohnanlage in der Kunigundenstraße 38 ist mit ihren 27 Wohneinheiten das größte und zugleich persönlichste Projekt der Then Berghs. Nach der Fertigstellung 1972 betreiben sie hier nicht nur ihr Büro, sondern ziehen auch mit der Familie ein. Das Grundstück selbst hat eine bewegte Geschichte: In den 1920er-Jahren steht dort das Haus der Bildhauerin und Schriftstellerin Christa Winsloe, das sie mit ihrer Lebenspartnerin Dorothy Thompson bewohnt. Hier ist ein wichtiger Treffpunkt der Münchner Bohème rund um Klaus Mann und Erika Mann zu finden, die im Haus Winsloes ihre spätere Partnerin Therese Giehse kennenlernt.
Mitte der 1950er Jahre geht das Haus in den Besitz der Familie Then Bergh über. Rudi Then Berghs Mutter, eine angesehene Ärztin mit eigener Praxis in München, bewohnt den ersten Stock, Eigentümer ist er zusammen mit seinen beiden Brüdern. Gemeinsam entschließen sie sich, das Grundstück mit seinem großen Garten neu zu bebauen. Um die Planung und Bauausführung kümmern sich Roswitha und Rudi Then Bergh in alleiniger Verantwortung. Der Münchner Staffelbauordnung folgend, entsteht straßenseitig ein lang gestreckter, vierstöckiger Wohnblock mit Staffelgeschoss und vorgelagerten Dachterrassen auf beiden Seiten. Über einen eingeschossigen Zwischenbau verbunden, wird dahinter ein dreistöckiges Rückgebäude errichtet, dessen oberstes Geschoss ebenfalls zurückversetzt und mit einer Terrasse versehen ist. Die Wohnungen erstrecken sich als Maisonettes teilweise über drei Stockwerke und sind entsprechend der regelmäßigen Stahlbetonschotten gegliedert, die gleich große, nutzungsneutrale Räume ermöglichen.
Inspiriert durch eine Reise nach Paris, ist Roswitha Then Bergh während der Entwurfsphase von der Idee einer möglichst glatt anmutenden Fassade fasziniert. Die schwarzen Fensterrahmen liegen in einer Ebene mit den weiß lackierten Fassadenblechen und bilden mit den ebenfalls schwarz umfassten Schotten und Geschossdecken ein geometrisches Muster, das mit der betonierten Vorgartenmauer und den heute dicht berankten Balkonen aus Betonfertigteilen und roten Metallgeländern kontrastiert.
Die Wohnanlage Kunigundenstraße steht exemplarisch für die Aufbruchsstimmung in München, die mit der Austragung der Olympischen Spiele 1972 einhergeht: Die Stadt ist eine einzige Baustelle. Ein Mitarbeiter der Then Berghs fährt täglich zum Olympiagelände, um Handwerker für den Weiterbau des Wohnhauses abzuwerben. Nach der Fertigstellung wählt die Familie die Mietparteien selbst aus. Im Innenhof und im Keller werden gemeinsam rauschende Feste gefeiert.
Noch heute wohnen einige Parteien der ersten Generation in dem Haus, das mittlerweile in Eigentumswohnungen aufgeteilt ist. Bei notwendigen Reparaturen und Veränderungen wird Roswitha Then Bergh nach wie vor mit einbezogen. Nach dem Tod von Rudi Then Bergh zieht sie 2007 zurück in ihre Geburtsstadt Salzburg und baut auf den Grundmauern ihres Elternhauses in Holz ihr eigenes Wohn- und Atelierhaus. Bis heute lebt und arbeitet Roswitha Then Bergh hier, die Räume voll mit Plänen, Skizzen, Ideen und Erinnerungen.
zur Person:
Simon Rötsch studiert im Master Architektur an der TU München und hat, aufbauend auf die Vorarbeit der Studierenden, die Texte für die Werkbeschreibungen und Biografien von Frauen Bauen München geschrieben. Am 19.10 und 02.11 stellt er in einem Stadtspaziergang ausgewählte Projekte der Architektinnen in der Maxvorstadt vor. Treffpunkt für die rund eineinhalbstündige Führung ist jeweils um 11:00 Uhr der Hof des TUM-Nordgeländes, Theresienstraße 90. Die Ausstellung zu Frauen Bauen München eröffnet am 17.10 um 19 Uhr in der Architekturgalerie München und läuft bis zum 21.11. Als Ergänzung zur Website frauenbauen.com erscheint zudem eine Begleitpublikation im Distanz Verlag.