dieses Mal: Johannes Büge
Die Morphologie der Mitte
Dieser Beitrag berichtet über die Bedeutung von Plätzen und Freiräumen als den baulichen Ausdruck einer gesellschaftlichen Zusammenkunft, welcher in unterschiedlichsten kulturellen und lokalen Gegebenheiten ähnlich ablesbar wird. Dem Platz als ein allseitig, durch bauliche Grenzen gefasster architektonischer Raum, wohnen vielfältige gesellschaftliche Ideale inne.
Im Rahmen eines akademischen Entwurfsprojektes in Uganda erforschte ich das Prinzip des Bauen um eine gemeinsame Mitte, im engeren Sinne um einen Platz.
Exemplarisch seien hier die räumlichen Schemata als Nachzeichnungen (v.l.n.r.) des römischen Forums in Pompeji (Italien, ~ 89 v. Chr.) und von Stammesbehausungen, dem Manyatta (Uganda, ~ 1600 v. Chr.) und dem Shabono (Venezuela, ~ 6000 v. Chr.) aufgezeigt. In allen Beispielen wird dieser Baugedanke durch architektonische Mittel besonders deutlich formuliert, obwohl er aus unterschiedlichen Bedürfnissen erwuchs (in den ländlichen Ausprägungen stand das Schutz- vor dem Versammlungsbedürfnis). In Pompeji ist es der umlaufende Säulengang, der den Stadtplatz als zentralen Versammlungsort einräumt und unterschiedlichste Bauten zusammenbindet; in den Behausungen der Karamojong in Uganda ist das Reisiggeflecht, das unregelmäßig Wohn-, Stall- und Gemeinschaftsflächen abtrennt. In dessen Mitte bietet ein Freiraum Platz für das wertvollste Gut des Stammes, den Nutztieren als ihre Lebensgrundlage; und in Venezuela ist es das umlaufende Dach des großen Rundhauses, unter dem die ganze Gemeinde eines Yanomami- Stammes schützende Unterkunft findet und auf dessen Freifläche das Gemeindeleben inmitten des weiten Urwalds stattfindet.
Es lassen sich viele andere Beispiele dieses morphologischen Prinzips finden und lässt mich grundsätzlich die Frage stellen, ob daher der Sinn, der Gemeinschaft einen baulichen Ausdruck über einen Platz zu geben, nicht sogar ein menschlich-logisches Prinzip ist und unabhängig seiner kulturellen und lokalen Gesinnung gelesen werden muss. Ich frage mich auch, inwiefern wir heute (zumindest in unserer Kultur) Stadt- und Dorfplätze noch als Orte des gemeinsamen, gesellschaftlichen Gedankens verstehen können. Allerdings stelle ich dabei nicht ihre unbestrittene Wichtigkeit für den Organismus einer Stadt und des Dorfes infrage (man möge sich hier einmal Orte des gesellschaftlichen und privaten Lebens ohne Plätze vorstellen…). Vielmehr interessiert mich, inwiefern wir als Gesellschaft überhaupt noch einen Platz als gemeinsamen, konstituierenden Nenner ausmachen können. Tragen wir als Gesellschaft überhaupt noch einen so starken Gemeinschaftssinn, dass sich dieser auch räumlich konzentrieren kann oder liegt das größte Potenzial und die Qualität eines Platzes in seiner offenen, nicht nur räumlichen, sondern auch sozialen Gegebenheit, als umdeutbarerer Raum einer Vielzahl von Gesellschaften einen Ort einzuräumen? Abschließen möchte ich meine vorläufigen Gedanken mit den Worten des rheinischen Baumeisters Rudolf Schwarz: „Das heißt, dass das Warme, Unverbrüchliche und Starke, das die Menschen im Ring durchströmt und verbindet, auch macht, dass sie eine gemeinsame Mitte haben und dass dort die gleiche Gemeinschaft noch einmal lebt und vereint ist: Mitte ist gemeinsames Herz.“ (1)
– Johannes Büge, März 2021
(1) Schwarz, Rudolf: Vom Bau der Kirche. Heidelberg: Lambert, 1947, S.27.
zur Person: Johannes ist als Werkstudent bei uns beschäftigt und bringt immer wieder mit seinem unvergleichlichen Ruhrpott-Charme frische Aspekte in unser Büro. Das ist und tut gut!
Thomas Gerstmeir, 16.04.2021