Rue Rambuteau 2 und 4, 75003, Paris
von Philipp Molter, 10.05.2017
Unser heutiges Haus führt uns nach Paris im Jahre 1842. Die Stadt expandiert und benötigt dringend Wohnraum. Fest entschlossen errichtet der Bauunternehmer und Baumeister – die Berufe waren noch nicht getrennt – Jacques Nicolas Piollet einen urbanen und hybriden Stadtbaustein. Als „Entrepreneur“ investiert er in eine Identität prägende und nahezu verschwenderische Fassadengestaltung. Sie bestimmt maßgeblich die Stimmung in der Rue Rambuteau Nummer 2-4.
Bevor wir nun reflexartig zum Aquarellkästchen greifen, um diese Atmosphäre grafisch zu erfassen, sollten wir eine gesellschaftliche Komponente dieses Hauses betrachten: Für die Typologie sehr ungewöhnlich, ist in diesem Haus nicht bereits im Vorfeld definiert, welche Etage welcher sozialen Klasse zugedacht ist. Die übliche „Beletage“, das repräsentative Geschoss eines großbürgerlichen Wohnhauses, wird hier nicht in der Fassadengestaltung abgebildet. Die Wiederentdeckung einer privilegierten Etage fand historisch erst später statt. Mit seiner Neuordnung von Paris entwickelte der Baron Haussmann in seiner Amtszeit als Präfekt von 1853 bis 1869 eine horizontale Gliederung und somit Durchmischung seiner kleinsten urbanen Einheit – das „Immeuble Haussmannien“. Während die Bourgeoisie auf der großzügigen „Beletage“ residierte, hausten die sozial schwächer Gestellten unter dem Dach in „micro apartments“. Die Idee der Belegung einer Parzelle für unterschiedliche Einkommensklassen und für die gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss machte die angrenzenden und später errichteten Gebäude zu „mixed use developments“. Sie garantierte eine soziale Durchmischung im Maßstab des Hauses und sicherte somit auch die individuelle Qualität des Quartiers in der Stadt.
Wir betrachten nun die Fassade unseres Hauses des Monats Juni etwas genauer: Die bündige Integration der vertikalen Klappläden aus weiss lackiertem Metall in die Fensterlaibungen aus millimetergenauen Quadersteinen erforderte neben einer wohl überlegten Planung eine präzise Umsetzung der Fassade. Wen die 84 verschiedenartig skulptierten Köpfe oberhalb der Fensterlaibungen darstellen, ist heute unklar. Sie werfen jedoch eine Frage auf: Zeigen diese unterschiedlichen Portraits, ganz ohne individualisierte und digitale Bauprozesse gesteuert, eine Selfie-Fassade der am Bau beteiligten Handwerksmeister aus dem Jahr 1842?
Begonnen hat Philipp seine Karriere mit einer Lehre zum Bauzeichner. Sein Architekturstudium in Stuttgart und Lausanne schloß er 2005 mit dem Diplom an der Universität Stuttgart ab. Nach Beschäftigungen bei Massimiliano Fuksas und Renzo Piano promovierte er an der TU München. Er erhielt dafür den Dr. Marschall-Preis. Dazu recht herzlichen Glückwunsch von uns allen.
Aber nun zum wichtigsten:
„Am Haus des Monats bin ich fünf Jahre auf meinem Arbeitsweg vorbeigelaufen, seither geht es mir nicht mehr aus dem Kopf … “ So seine Begründung zur Hauswahl in seinem Beitrag. Wie wir finden: mehr als logisch und nachvollziehbar, wenn auch nicht ganz wissenschaftlich.
Auf alle Fälle jedoch sehr sympathisch und beinahe naiv. Was er sich aufgrund seiner wissenschaftlichen Erfolge durchaus leisten kann und darf.
Thomas Gerstmeir, 27.05.2017