März 2017

Strohhaus in der  Toskana von Franz Wimmer
Das Haus als „epps und nix“

Zum Begriff „epps und nix“
Der altbayerischen Dialektsprache kundige Personen wird der Begriff „epps und nix“ durchaus geläufig sein, frei übersetzt könnte man ihn mit dem Shakespeare’schen „Sein oder Nichtsein“ vergleichen, oder mit Gegensatzpaaren wie Etwas oder Nichts, heilig oder profan, roh oder gekocht, etc. beschreiben, auch wenn das alles der wahren Bedeutung bei weitem nicht nahe kommt. Selbst Christian Morgenstern hat sinngemäß philosophiert: Das Leben ist die Suche des nix nach dem epps. Bleiben wir jedoch bei der Architektur.

Was ist nun das „epps“ an dem gezeigten Beispiel?
Typologisch verweist das gezeigte Bauwerk in seiner äußeren Erscheinung auf eine Urform des Hauses in der abendländischen Baukunst, ein eingeschossiges Haus (E+D) mit steilem Dach, wie man diesen Typus aus Italien, dem Alpenraum oder vom Bodensee kennt. Zur Bedeutung und Morphologie dieser „Urhäuser“ sei hier kurz auf den Architekten und Forscher Hans Soeder verwiesen. Dieser hat in seinen Reise- und Forschungsergebnissen dargestellt, wie sich archaische, anonyme Häuser in einer Art Gebäudeevolution bis zur Baukunst und Urform der Kathedralen entwickeln. Tektonisch, im Sinne der Kunst des Fügens, ist das Haus durch und durch aus Stroh gebaut, konstruktiv, im Sinne Gottfried Sempers Theorie des textilen Ursprungs der Architektur, eine aus kurzen Strohhalmen gewebte Bauplastik, geradezu ein Paradebeispiel für eine monolithische Bauweise. Die Poetik der Konstruktion, in ausgewogenen Proportionen, kommt hier voll zur Geltung.
Es könnte sich aber auch durchaus um ein Werk eines Künstlers aus dem Umkreis der ARTE POVERA-Bewegung handeln, etwa von Mario Merz, Jannis Kounellis, Giulio Paolini oder Michelangelo Pistoletto, um nur einige zu nennen. Man stelle sich das Strohhaus ausgestellt in Mies van der Rohes Nationalgalerie in Berlin vor – es wäre eine Sensation!
Nicht zu unterschätzen sind auch die energetischen und ökologischen Gesichtspunkte dieses Gebäudes. Die Vorgaben der Energieeinsparverordnung (EnEV) für die Bauteile Decke, Wand und Boden würden diese aufgrund der enormen Dämmstärke sicher um das Zehnfache, wenn nicht mehr, übertreffen. Bezüglich der Nachhaltigkeit ist das Haus leicht demontierbar und an einem anderen Ort wiederaufbaubar, und falls es nicht mehr gebraucht wird, kann man es an die Kühe verfüttern oder deren Stall damit einstreuen.

Was ist aber das „nix“ an dem gezeigten Haus?
Obwohl das Dargestellte einem Haus ähnlich sieht, fehlen diesem Gebilde doch die wesentlichen immateriellen Elemente, welche die Architektur letztendlich ausmachen: Es gibt keinen Innenraum und es gibt kein Licht, das diesen Innenraum erhellen könnte. Selbst Minimalforderungen wie „mehr Licht durch weniger Fenster“ oder „auch ein dunkler Raum braucht einen Lichtspalt, um zu sehen, wie dunkel er ist“, sind hier nicht erfüllt, von einem Loos’schen Raumplan ganz zu schweigen. Als architektonisches Fazit gilt daher: Das Haus hat zwar „epps“, ist aber „nix“.

Aufgrund einer phonetischen Ähnlichkeit fällt mir noch ein Zitat von Sigi Zimmerschied ein: „Depp bleibt Depp – da hilft koa App.“

Text und Fotografie: Franz Wimmer, 16.01.2017

Zur Person:
Ich würde ja „epps“ mit 2 Bs, also „ebbs“ schreiben. Die phonetischen Ähnlichkeiten lassen also sogar noch unter waschechten Niederbayern Variationen zu. Das aber nur nebenbei.
Bei Franz schwingt für mich immer eine etwas kabarettistische Haltung zur Architektur mit. So hat er mir als Assistent an der TUM neben Architekturfragen auch solch existentielle Inhalte wie Liedtexte von Helmut Qualtinger näher gebracht.
Bekannt ist Franz Wimmer auch für seine zahlreichen Publikationen.
Siehe dazu:
www.franz-wimmer-architekten.de
Wir danken für seinen typisch Franz´schen Beitrag.

Thomas Gerstmeir, 01. Februar 2017

Das nächste Haus des Monats wird vorgestellt von: gerstmeir inić architekten BDA