dieses Mal: Johannes Baumstark
Insular
In weiter Ferne des normalerweise für uns so anziehenden, derzeit aber kaum erreichbaren, Südens steht es. Ein Haus unter vielen, als Teil einer über die Jahrhunderte gewachsenen Struktur einer kleinen Inselhauptstadt. Einer Stadt mit geographisch und topographisch bedacht gewählter Lage und einem Baubestand als Zeugnis einer ehemals wehrhaften, sicher auch glanzvollen Hafenstadt mit überregionaler Bedeutung. Im frühen 19. Jahrhundert unfreiwilliger Zufluchtsort für französisch-korsische Kaiser, heute Sehnsuchtsort für begeisterte Verfechter des italienisch-ursprünglichen Insellebens.
Da steht es also. Genauso wehrhaft wie strategisch in seiner örtlichen Setzung, gelegen direkt am Wendepunkt einer steilen Serpentine. Aufstrebend und stolz in seiner Gestalt, trotz – oder gerade wegen – seiner schlanken Proportion. Ein Gebäude mit einer auffälligen Volumetrie, aus dem Schnitt des Grundstücks konsequent entwickelt. Das erstaunliche Seitenverhältnis von Länge zu Breite zu Höhe entspricht annähernd eins zu vier zu vier.
Markant ist aber nicht nur die Gebäudeform, sondern auch der eigenwillige Einsatz von Fassadenschmuck. Kommen doch die beiden seitlichen Fassaden gänzlich ohne diesen aus. Die Konzentration auf die eine Stirnseite scheint ein bewusst gewählter Effekt aus dem Vokabular der Zeit. Für unser heutiges Empfinden vielleicht zu überladen, folgt die Fassadengestalt doch einer in sich logischen Ordnung und ist als solche durchdacht formuliert. Das schmale Haus lädt geradezu ein, diese Ordnung mit dem Auge nachzuzeichnen – vom massiven Sockel über die noble Staffelung und die formenreiche Varianz der oberen Geschosse bis zum kleinen Ausguck unter dem ausladenden Dach.
So gesehen schafft es dieses Haus womöglich einige oft nur im Verborgenen getroffenen Vorsätze für das noch junge Jahr zu vermitteln: Ein gesundes Maß an Standhaftigkeit gepaart mit aufstrebender Dynamik und klar erkennbarer Ausrichtung, eine Grundordnung als Basis für die eigene Entwicklung. Alles in allem Ausdruck eines positiven, sich selbst aber nicht zu ernst nehmenden und dadurch durchaus humorvollen Auftretens. Soweit die Theorie. Für Wahl und Umsetzung von Vorsätzen ist ja bekanntlich jeder selbst verantwortlich.
zur Person:
Treffsicher wie immer, schreibt Johannes gerade zur Lockdownzeit über ein Haus, das eindeutig an eine unbeschwerte Reise nach Italien erinnert – und somit auch an ein besonderes Lebensgefühl – das wir hoffentlich bald wieder genießen können.
Mit seinem Partner Martin Bielmeier betreibt Johannes ein kleines, aber sehr feines Architekturbüro. Und dieses Büro will es genau wissen: bis in die kleinste Schraube wird hier gedacht und entworfen – und Gott sei Dank immer ohne zu verkrampfen.
https://bbarchitekten.com
PS: der Beitrag war für Jahresanfang geplant. Deshalb der Hinweis auf gute Vorsätze.