Liebfrauenmünster
1425-1525 Ingolstadt
Das “Münster” war der erste Raum, der mich merklich in seinen Bann zog. Anders als andere Räume, von denen die ich heute auch einige besonders zu schätzen weiss. Sicherlich lag es daran, dass ich dort als junger Ministrant viel Zeit hatte mich umzusehen – und auch die Zusammenhänge der Liturgie “hinter den Kulissen” beobachteten konnte.
Zum anderen lag es an der Bauform der spätgotische Hallenkirche: ein großer Raum mit gleich hohen, freistehenden Stützen, welche die gemeinsame Decke des Hauptschiffs und der Seitenschiffe tragen. In den höher gelegenen Seitenkapellen ist es, als befände man sich in einem großen Gefäß, gefasst durch den Naturstein des Sockels und den Stufen im selben Stein. Die Raumaufteilungen innerhalb der Säulenhalle erfolgen, ähnlich den Regeln von Mies van der Rohe, in dem die verschiedenen Bereiche durch eingestellte Möbel erlebbar werden. So ist der erhöhte Altar-Chor-Bereich seitlich von eingebauten Holzsitzmöbeln gefasst und ermöglicht so einen Umgang hinter das “Proszenium”.
Der Raum ist nicht besonders dekoriert oder repräsentativ mit edlen Materialien überhöht. Die tragenden Bauteile sind aus Stein, die Füllflächen sind aus sehr viel günstigerem Backsteinmauerwerk, welches Aussen sichtbar bleibt und im Inneren flächig geputzt und weiss gestrichen ist. Wieder denke ich hier speziell an Bauten von Mies van der Rohe: an jene des Illinois Institute of Technology in Chicago.
Besonders war und ist für mich das Raumerlebnis von der Orgel-Empore. Nachdem man sich wie auf einer “Promenade Architectural” durch eine enge Wendeltreppe – mit sich erhebenden Ausblicken auf die umgebende Altstadt – begeben hat, weitet sich der Raum und man findet sich auf einer Zwischenebene des Skelettbaus wieder. Von dort taucht der Blick in die Tiefe des Raumes, der sich nach unten ähnlich weit öffnet wie nach oben. Hier setzt bei mir ein Gefühl des Schwebens ein.
Welche Räume schaffen es heute, uns ein besonderes Raumerlebnis zu geben? Ist es notwendig sich anhand von Räumen erhaben fühlen zu können? Ich denke, dass es gut ist, dass wir uns in unseren Innenräumen erfahren können, dass wir uns in grösseren Zusammenhängen wahrnehmen können, dass es besondere Orte gibt, für die wir nicht in die weite Welt fliegen müssen. Und ich überlege wo heute diese Räume entstehen oder entstehen könnten. Die Basiliken des Kommerz, die Malls, schaffen es nicht, und auch nicht die Eye-Catcher der Event-Kultur, seien sie nun skulptural oder einfach nur hoch: innen bieten sie meist nur ein instrumentalisiertes Atmosphärenspiel und nach einem Besuch bleibt der fade Nachgeschmack, nur eine Weile “verloren” gewesen zu sein.
Clemens Alexander Häusler, OFICINAA, 01. Mai 2016
www.oficinaa.net
zur Person:
Alexander, Clemens, Axel oder sogar mal Axelmann genannt – eigentlich weiß ich bis heute nicht richtig, wie er wirklich heißt, was aber egal ist, weil seine äußerst angenehme menschliche Art dies nicht wirklich fordert. Als Architekt und Künstler wiederum ist sein Namen hier wie in USA durchaus bekannter. Mit seiner Architekturwerkstatt OFICINAA bearbeitet er unterschiedlichste Projekte. Einst teilten wir ein gemeinsames Büro in einem Keller in der Maxvorstadt. Aber auch die Ministrantenerinnerungen haben wir wohl gemeinsam. Auch ich hatte als kleiner Lausbub immer viel Zeit, die Baulichkeiten unserer kleinen Dorfkirche zu studieren.
Seine Zeilen zum Ingolstädter Münster rufen bei mir ein deutliches Bild hervor. Der Erinnerungsstamm „Ministrant in Bayern“ scheint hier also zu funktionieren und erübrigt fast -zumindest bei mir- ein Foto des beschriebenen Raumes. Schon auch eine Qualität dieser Bauwerke.
Thomas Gerstmeir, 01. Mai 2016
Das nächste Haus des Monats wird vorgestellt von:
Nermina Idriz