Dezember 2015

Neureuther Straße 3, München 

Oben stehendes Bild zeigt ein einfaches Haus in der Neureutherstraße in München. Es hat jedoch einen besonderen Fassadenschmuck, der, obwohl nur wenig Fläche bedeckend, die ganze Straßenfassade des Bauwerks erstrahlen lässt. Es gibt gerade in München zahlreiche Beispiele solcher Ornamentierung aus nahezu allen Epochen. Seit Beginn unserer Bürotätigkeit sammeln wir Beispiele dieser Art und dokumentieren sie in Form collagierter Zeichnungen.

„Ornament ohne Ornament?“ war das Thema einer Ausstellung 1965 in Zürich. Sie wurde in München von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste weiterentwickelt und hatte dann den Titel „Ornament heute?“. In diesem Rahmen entstand ein Essay von Josef Wiedemann, aus dem folgender Ausschnitt entnommen ist. Er entschärft darin so manches Vorurteil und bringt zentrale Fragen zum Ornament ohne große Worte auf den Punkt:

„ (…) Sollte ein anderes Wort gefunden werden für Ornament, dem nicht die ganze Entwicklung anhängt, samt Deformierung und Verfemung? Haben wir die Zeit der Entsagung, die Sullivan verlangt, schon hinter uns?

Fragen wie diese werden sich immer wieder neu stellen, gleich denen nach dem Wesen des Menschen. Das Ornamentieren, das Hervorheben, Vertiefen, Auszeichnen, Schmücken, insgesamt das Bereichern wird nicht aufzuheben sein, solange wir tätig sind, solange wir uns freuen, solange wir existieren.

Die Rose, die Centifolie, sollte sie nicht hundertblättrig blühen, sollte sie nur so schlicht sein dürfen wie eine Heckenrose?

Wozu das Spiel der Farben, Formen und Muster bei Pflanzen und Tieren unter gleichen Lebensbedingungen, bei gleicher Nahrung, unter dem gleichen Himmel?

Und wir, sollten wir nicht mehr singen, nur noch sprechen, eingeschränkt auf bloße Information? Wenn wir aber singen, sollten es dann ausschließlich einstimmige Melodien sein, nicht auch mehrstimmiger Gesang? Sollten wir nicht mehr tanzen, ausschließlich gehen, als Mittel der Fortbewegung? Hätte Franz von Assisi stumm bleiben sollen, anstatt zu jubeln in seinem Sonnengesang?

(…) Auch heute wollen wir leben im vollen Sinne, mit allen Erhöhungen, Auszeichnungen, mit jeder Bereicherung des Alltags. Auch heute gibt Ornament im uniformen Bild der internationalen Städte Farbe, Freude, Glanz und Lebensluft.

(…) Das Ornament hat das Bewusstsein unterwandert. Es verschlingt illegitim Millionen im Dienste der Aufmachung, Darstellung und Werbung und als Lockvogel für begierige Massen. Ornament in all diesen Erscheinungen stillt das Bedürfnis, Daseinsfreude zu erfahren, vor Augen zu haben. Immer bleibt das Verlangen nach dem ganz Reinen, ganz und gar Einfachen, nur Wesentlichen.

Es entspringt dem Suchen nach Wahrheit. In der ganzen Wahrheit ist aber beides: Stille wie Jubel, äußerste Einfachheit wie überfließende Fülle, Schweigen und sich verhalten wie Feiern und Tanzen. Das Missverstehen liegt im Theoretisieren, im lebens-, im weltfremden „Entweder-Oder“. Leben ist beides. Vom Ornament sind wir ausgegangen und von ihm weg zu seinem Trugbild und wieder zu ihm zurück. Unsere Frage hat sich vertieft: „Ist Ornament notwendig, existentiell notwendig?“ Wird es von Urbildern genährt? Wurzelt es im Geheimnis des Kosmos? Blüht es in der Symmetrie unserer eigenen Gestalt, aus dem Rhythmus unseres Atems, des zur Welt Kommens und Sterbens, aus der Spannung unserer Existenz zwischen masculin und feminin, so dass wir Gleiches verkörpern? Noch gehen wir in dem Labyrinth, das wir eingangs nannten, und das uns als ältestes aller Ornamente gefangen hält. Ist das, was ursprünglich Symbol für Durchgang war, vom Leben zum Tod zum Leben, jetzt Irrgarten oder schon Spielerei? Der „horror vacui“, der Schrecken vor dem Leeren, die Angst vor der Stille mit ihrer Flucht in hektische Betriebsamkeit, in permanentes Zeigen und Beschallen, in endlose Diskussionen, sind Symptome bedrohlicher Verirrung. (…)“

Max Zitzelsberger, München 01.12.2015

Zur Person:
Max Zitzelsberger kann in Münchener Architekturkreisen unstrittig zu den aussichtsreichsten Nachwuchstalenten gezählt werden. Das zeigt nicht nur die Nominierung zum Förderpreis der Stadt München. Vor allem die angenehm stoische und ins Detail versunkene Entwurfsmentalität, die Faszination mit ornamentiven Mitteln das Wesentliche vom Banalen abzugrenzen, machen seine Entwürfe und Zeichnungen so unverkennbar.
Mit seiner Art der Darstellung steht er nahe der Tradition eines Henrich Tessenow. Auch die hier präsentierte selbstgeschaffene Zeichnung eines bestehenden Hauses, besser eines Fassadenausschnittes eines einfachen Hauses aus dem Nachkriegsmünchen, zeigt die Faszination fürs Detail und dessen, hier straßenräumliche, Wirkung.
Als Assistent bei Prof. Florian Nagler ist Max auch geschätzter Kollege an der TU München.

Thomas Gerstmeir, München, 01.12.2015

Das Haus zum Neujahr wird vorgestellt von: gerstmeir inić architekten


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