Preysingstraße 39
Ein Haus für den Monat August soll es werden – ausgerechnet August, wo man doch lieber an Sandburgen, Strandkörbe und bunte Badehäuschen denken möchte als an das Haus des Monats. Andererseits gibt es viele Häuser in München (und anderswo), die ich schon lange auf meiner persönlichen Favoritenliste führe und bei denen ich mich frage, warum sie nicht viel mehr gewürdigt werden. Warum an ihnen nicht schon längst eine Plakette angebracht worden ist – eine Plakette für ihre besonderen Verdienste um die Stadtgestalt, warum niemand ihnen ein Lorbeerkränzchen aufgesetzt hat, obwohl sie das doch eigentlich verdient hätten.
Es gibt viele solcher Häuser in dieser Stadt, die einen prägenden Anteil am Stadtbild haben und gleichzeitig so zurückhaltend und anonym bleiben. Ich meine hier also nicht die Sonderbausteine einer Stadt, sondern die anonyme Masse dazwischen. Die Häuser des Profanen, des Alltags, in denen wir wohnen, leben und arbeiten. Häuser, von deren Architekten wir meist noch nie gehört haben, wenn es sie denn überhaupt gab. Ich meine die Häuser, an denen wir viel zu lange vorbeifahren, ohne sie wahrzunehmen. Bei denen es dauert, bis sie sich über das Unterbewusstsein einen Weg in unser Bewusstsein bahnen. Bis man sie endlich wahrnimmt, schätzen lernt und am Ende wie vertraute Bekannte gar nicht mehr vermissen möchte.
Für diese oftmals anonymen Häuser ist Eure Rubrik ‚Häuser des Monats‘ eine wunderbare Erfindung – eine späte Wiedergutmachung für die Jahre der Ignoranz sozusagen. Man kann so seinen stillen Favoriten endlich ihr virtuelles Lorbeerkränzchen aufsetzen, das sie schon lange verdient haben.
Und da es natürlich unzählige dieser Gebäude gibt, die ich hier vorstellen könnte, picke ich das Erstbeste heraus, welches mir auf meinem täglichen Weg zur Arbeit begegnet und immer wieder Freude bereitet. Zusammen mit seinem nicht minder auffälligen, stark historisierenden Nachbarn bildet das Gebäude in der Preysingstraße 39 den Abschluss der Wörthstraße und führt mit seiner längeren Fassade in die Metzgerstraße über. Die Enge, mit der sich beide Häuser in dieser Straße gegenüber stehen, verweist auf die alte gewachsene Stadt des frühen 19. Jahrhunderts, die hier endet und in die geometrische Stadterweiterung der Gründerzeit rund um den Bordeauxplatz übergeht.
Es ist ein gewöhnliches Wohnhaus, historisierend – typisch für seine Zeit – wohl Anfang 1900 errichtet und mit abwechslungsreichen Bauelementen (Balkone, eckige Erker, runde Erker) ausgestattet. Und doch orientiert es sich mit seinem steilen Giebeldach und seiner hohen, nach oben strebenden Fassade eindeutig Richtung Wörthstraße und neues Stadtviertel (auch wenn es nur über eine schmale Seite dorthin verfügt). Mit seinen sechs Geschossen und dem siebten als Dachgeschoss steht es selbstbewusst und markant im städtischen Raum. Genau genommen ist es eines der für München seltenen „Hohen Häuser“.
Clemens Nuyken
zur Person:
Es ist erstaunlich, wie sich Gedanken, Einstellungen und Haltungen gleichen können. Auch die Begeisterungsfähigkeit für das Anonyme in der Architektur, dem beiläufig Gekonnten im Gebauten, teilen wir mit Clemens. Ein Blick auf die Homepage (www.n-v-o.com) seines Büros wirkt für uns wie eine Wunschliste. Die Latte liegt da sehr hoch: Vollkommen unprätentiös, aber höchst professionell wirkt Clemens Nuyken genau an dem Wesen in der Architektur, welches er in seinem Beitrag beschreibt. Ein wunderbar runde Sache also.
Die von ihm gewählte Stelle in Haidhausen um die St. Johannis-Kirche ist eine wahre Fundgrube für das „Haus des Monats“. Gott sei Dank ist mein Favorit aus diesem Viertel noch übrig. Den habe ich mir als Lückenfüller aufgehoben – Erscheinungsdatum unbekannt.
Thomas Gerstmeir, München, 01.08.2016
Das nächste Haus des Monats wird vorgestellt von: Matthias Castorph, Goetz Castorph Architekten und Stadtplaner Gmbh