dieses Mal Thomas Gerstmeir
Isarphilharmonie HP8, München
Ich weiß noch nicht genau, was mir mehr gefällt: Die Punktlandung der Architekten der Isarphilharmonie oder die Auswirkung dieser Architektur auf das berüchtigte Münchner Publikum.
Eins ist sicher: Mit ihrer Architektur leisten Gerkan, Marg und Partner einen wohltuend pragmatischen und herrlich unakademischen Beitrag zum Thema „Minimalismus“. Ein klares Gebäudekonzept verbindet eine bestehende Werkhalle als Foyer mit einem neu konstruierten Konzertsaal. Dabei wird weder die Werkhalle gegen den Strich gebürstet, noch wird der Neubau zwanghaft auf das Bestehende angepasst – und dieses unangepasste Nebeneinander schafft die Möglichkeit der Optimierung. Die Ausformulierung ist dabei so konsequent unaufgeregt wirtschaftlich, dass noch nicht mal die Details in Tankstellenstyle stören. Im Ganzen betrachtet: eine konsequente Abwendung von einer anstrengenden „Architektenarchitektur“.
Dieses Haus schafft jedoch ausserhalb der architekturakademischen Diskussion etwas für München sehr viel Wichtigeres: Es geht endlich wieder um die Musik selbst. Es werden keinerlei banale Repräsentationsgelüste erfüllt. So wird das Haus nicht auf eine Stufe mit der Musik gestellt, sondern es wird ein guter bis sehr guter Raum für musikalische Darbietungen geschaffen. Das Preisleistungsverhältnis ist schlicht phänomenal.
Und das Münchener Publikum? Das ist so in keiner Weise versucht, seine üblicherweise jovial vorgespielte Kennerschaft zur Schau zu stellen. So bleiben bayrisch-neureiche Geschmacklosigkeiten – „unserem Herrgott sei Dank“ – aus oder wirken mindestens peinlich. Man kann dort als Besucher sein, wie und wer man will und sich schlicht nur für die Musik interessieren. Das ist mehr als angenehm und hilfreich. Vielleicht liegt es ja daran, dass es in den Augen der Entscheidungsträger doch nur ein Provisorium sein soll und sie deshalb den Architekten einmal nicht reinregiert haben. Und schon klappt’s auch mit der Akustik. Aber das ist nur eine weit hergeholte sehr subjektive Vermutung und entbehrt bestimmt jeglicher Substanz oder historischer Beispiele.
Für dieses Haus passt der oft missbrauchte Slogan „Weniger ist mehr“ verdammt gut. Und genau von diesem überschwänglichen „Weniger“ hätte ich gerne – bitte – ein bisschen „mehr“ in München.
PS: Die Philharmonie am Gasteig böte meines Erachtens ähnliches Haltungspotential. Vielleicht sollte man einfach mal unangepasst drüber nachdenken.
PPS: Friedrich Gulda hat dies alles bereits in den 90ern erkannt, als Reaktion das Bildungsbürgertum „rausgschmiss´n“ und ist mit Mozart und Bach in der Muffathalle aufgetreten. Aber der war ja eh total narrisch.
Hallo Fetz,
…hab nun – muss ich gestehen – das erste mal die Seite aufgerufen. Guter Text – muss ich wohl öfter mal reinschauen bei euch 🙂
Lieben Gruß Lutz
Lieber Thomas,
ein gelungener Beitrag!
Man sollte einfach endlich den Gestaltungsgrundsatz in der Architektur in „Funktion und Form“ umwandeln…
Liebe Grüße Mauricio
Lieber Mauricio,
danke für das Lob. Ich möchte aber hinzufügen, dass meine Ausführungen natürlich nicht grundsätzlich auf alle Bauaufgaben passen und ich mit einer Verallgemeinerung vorsichtig wäre. Aber: man könnte zumindest viel öfter darüber nachdenken.