Dezember 2018

Wohnblock in Untergiesing
von Sabine Kukel

Mein Haus des Monats ist grün.
Farblich auch ein bisschen passend zur Vorweihnachtszeit…

Es ist ein grosser, grüner Wohnblock zwischen Pilgersheimerstrasse, Kleisstrasse, Voßstrasse und Cannabichstrasse in Untergiesing. Auf der einen Seite, wo die S-Bahngleise die Pilgersheimerstrasse kreuzen, ist es laut und städtisch, dahinter in der Mondstrasse und der Vosstrasse ist es ruhig und dörflich am Auer Mühlbach. Dort befand sich einst die wohl größte Lederfarbik Europas, nach deren Abriss der Architekt Helmuth Wolff im Jahr 1927 für die Münchner Siedlungsbau GmbH eine Grosswohnanlage im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaute.

Festungsartig steht sie da, mit den 4 überhöhten Türmen an jeder Strassenecke. Die langgestreckten 4-geschossigen Bauten mit Ihren Mansardendächern folgen mit ihrer leichten Krümmung dem Strassenverlauf, stabil und selbstverständlich, schlicht und mit wenigen, aber umso schöneren Details wie den Übereckelementen der Fenster, der farblich und durch das Material abgesetzten Eingangselemente mit den Vordächern, der schrägen Gitterelemente im Souterrain…

Auch ohne grün würde das Haus seine Stärke behalten. Und grün war es wohl auch nicht immer.
Auf den Fassaden fällt sofort der starke, fast wuchtige Strukurputz ins Auge.
An der Voßstrasse sind es kreisrunde, knödelartige Elemente, an der Pilgersheimerstrasse halbrunde Muster, die mit einer starken Überhöhung in den Putz eingearbeitet wurden. Ein zweigeschossiger Dreiecks-Erker gliedert die Fassade zusätzlich ein Mal in der Voßstrasse.

An der Pilgersheimerstrassse öffnet sich der Block über alle Geschosse und bildet so eine grosszügige Eingangsgeste in den gemeinschaftlichen Hof. Hier steht auch der denkmalgeschütze Wandbrunnen mit Relief zum Gedenken an die Erbauung.
Man ist ein wenig erinnert an die grossen Wohnungsbauten, auch im „roten Wien“, die zur gleichen Zeit zu grosser Anzahl dort errichtet worden sind, natürlich noch sehr viel mächtiger und auch viel politischer.

Wie gut und wichtig, dass dieses Haus das dritte Reich unbeschadet überstehen konnte. Seinen Erbauer Helmuth Wolff ereilte leider ein anderes Schicksal.
Als jüdischer Architekt floh er 1933 vor den Nazionalsozialisten nach Amsterdam, wo er sich nach dem Einmarsch der Deutschen in Holland das Leben nahm.

Für mich persönlich ist es sehr schade, dass es uns Wohnugsbauern heute nicht mehr richtig gelingen mag, trotz einer ähnlichen Wohnungsnot, aber doch soviel mehr möglichen Kapitalressourcen als damals, derartige nachhaltige Beispiele für den Münchner Mietwohnungsmarkt zu errichten.

Das mag viele Gründe haben, zum einen ist das Bauen so komplex und daher sehr teuer geworden, der Baugrund unbezahlbar und Anzahl und Inhalt der Normen fast nicht mehr beherrschbar.
Aber dennoch sollten wir gerade deshalb vieles neu hinterfragen und von den Oberflächlichkeiten wieder zur wirklichen überdauernden Substanz zurückfinden.

Sabine Kukel

Zur Person:
Nicht nur aus Gründen des Familienfriedens bin ich Sabines Meinung, dass wir von den bewehrten Vorbildern, die Lösungen für ähnliche Aufgabenstellungen in weitaus schwierigeren Zeiten erarbeitet haben, noch vieles lernen können.
Wolff, Kurz, Ruf, etc. zeigen uns, wie es wieder gehen könnte: einfach und unspektakulär, gekonnt und ansehnlich, sowohl auf der städtebaulichen als auch auf der Objektebene.
Wer Sabine kennt, weiss genau, dass Sie gerne und viel unter der Oberfläche kratzt, den Dingen genau auf den Grund geht und sich dabei intensiv mit der Materie auseinandersetzt. Diese Herangehensweise führt in ihren Arbeiten meistens zu erstaunlichen Ergebnissen, manchmal aber auch zum Scheitern…

Sabine, danke für Deinen Beitrag!
Siniša „Drago“ Inić, München, 25.11.2018

Foto: Sabine Kukel