dieses mal: Alessandro Mussoni
Frank Gehry’s Santa Monica House
Es fällt mir nicht schwer Gebäude zu finden, die ich persönlich gut oder bereichernd finde. Ein Architekt, der es mir aber schon immer schwer gemacht hat, ist Frank Gehry. Umso überraschter war ich, als mir neulich ein Frühwerk begegnet ist: Der Umbau eines Bungalows zu seinem künftigen Wohnhaus im sonnigen Santa Monica, Kalifornien.
Das Haus, das Gehry und seine Frau 1977 vorfanden, war nicht sonderlich auffallend: Grüne Schindeln auf einem einfachen Mansarddach, rosa Schindeln an der Fassade, gute Eckgrundstückslage, sowie eine Reihe hoher Zedern entlang der Grundstückgrenze.
Sie kauften das Haus und Gehry begann direkt mit dem Umbau des Gebäudes aus den 1920er Jahren. Äußerlich blieb der Bestandsbau nahezu unberührt. Um mehr Wohnraum zu erzeugen überformte er den Bestand jedoch und wickelte das Haus in eine neue Raumhülle ein. Aus Geldnot griff er dabei zu industriell hergestellten Materialien, wie Maschendrahtzaun, verzinktem Wellblech und Sperrholz zurück. Werkstoffe, welche man eigentlich nicht aus dem Hausbau kannte. Die Ecken des Anbaus sind mit polygonalen Holzoberlichtern akzentuiert. Ein Gesamteindruck, der nicht einem großen Konzept entspringt, sondern vielmehr aus einzelnen Ideen zusammengesetzt wurde und dabei aus jeder Situation, jeder räumlichen Abfolge das Maximale herauszuholen versucht. (Die Nachbarn sahen das leider gänzlich anders).
Gehry wollte den kleinen rosa Bungalow wichtiger erscheinen lassen, als er war, indem er den Richtlinien Marcel Duchamps folgte: Dessen Arbeit hatte die Einstellung der Menschen zu gewöhnlichen und alltäglichen Dingen verändert, indem sie ihnen als Kunstwerke präsentiert wurden.
Während das Bestandsgebäude äußerlich wenige Eingriffe erdulden musste, wurden die Innenräume radikal umgestaltet. Innenwände werden ersetzt durch Holzbalken und Pfosten, elektrische Kabel für die Beleuchtung liegen offen. Der Asphaltboden der ehemaligen Grundstückseinfahrt blieb erhalten, obwohl sich nach dem Umbau die Küche dort befand. Die Rohheit der Innenräume ergibt sich aus Gehrys Überzeugung, dass eine Struktur im Prozess immer poetischer erscheint, als ein fertiges Werk. Das gesamte Gebäude wird dabei als ein großer Raum begriffen.
Gehry bezeichnete seinen Wohnort als Architekturlabor, an dem er unermüdlich herumbastelte. Mal bedeckte er die freiliegende Balkendecke mit einer ordentlichen Holzlattung, mal integrierte er ein Schimmbecken oder baute die Garage zum Gästehaus um. Um Licht ins Badezimmer zu bringen, schlug er ein Loch ins Dach, legte eine Fensterscheibe hinein und dichtete diese mit Dichtungsmasse ab. Die komplexe Raumfigur aus Bestand und Neubau überzeugt so durch seine Reichhaltigkeit an unterschiedlichsten Ideen, sowie einer grundsätzlichen Offenheit für weitere Veränderungen.
In der Einführung seines Buches Experimental Architecture schreibt Gehry, dass „junge Architekten sich entscheiden müssen, ob sie in das System aufgenommen werden wollen“, um große kommerzielle Projekte zu entwerfen oder von solchen Krümeln, wie dem Umbau einer Garage leben wollen. Letzteres erscheint mir beim Betrachten dieses Bauwerks deutlich reizvoller.
zur Person und Beitrag:
Ja, die Jungen (und Alessandro ist noch jung): kommen klammheimlich mit so einem Brüller um die Ecke. Einfach so und erfrischend. Dafür herzlichen Dank.
Und ja: Gehry ist streitbar. Aber auch offen. Und dieses Haus ist in all seiner verzwickten Einfachheit und konsequenten Inkonsequenz eine Möglichkeit für Offenheit und der – von mir so schmerzlich vermissten – Spontanität in der Architekturwelt. Nun gilt es für Alessandro sich diese Spontanität zu erhalten.
Thomas Gerstmeir, Dezember 2021