Dezember 2022

dieses Mal Andrea Veselá
Jesus Christus Kirche, Berlin Dahlem

Für den – um die Jahrhundertwende rasant wachsenden – Berliner Vorort Dahlem wurde 1929 von dem hier angesiedelten Maler Ludwig Bartning, dem Bruder des Architekten Otto Bartning, ein Architekturwettbewerb für eine neue Kirche ausgeschrieben. Den Bauauftrag bekam der Architekt Jürgen Bachmann (1872-1951). Nach Fertigstellung des Kirchengebäudes konnte 1932 die Jesus Christus Kirche eingeweiht werden.
Bei der Planung jedoch wurden erhebliche Bedenken seitens des Akustikers Johannes Biehle geäußert. Biehle war Physiker, Glocken- und Orgelbauer und damaliger Vorsteher des Instituts für Raum- und Bau-Akustik der Technischen Hochschule Berlins – also durchaus eine Koryphäe. Laut seinen Berechnungen erwies sich der Kirchenraum für rednerische und musikalische Zwecke völlig unbrauchbar. Er erwartete eine viel zu lange Nachhallzeit von fast 3 Sekunden in den tiefen Frequenzbereichen. Als Lösung schlug Biehle vor, die Kubatur zu verkleinern. Der Raum wäre mit 22 m zu hoch und die Stirn, – und Seitenwände aus Beton ergäben eine insgesamt zu große Reflektionsfläche.
Tollkühn schlug der Architekt diese Bedenken aus und ließ die Kirche nach den ursprünglichen Plänen gegen die Warnungen bauen. Und die Akustik erwies sich nach Fertigstellung als hervorragend. Kurz nach dem 2. Weltkrieg war der RIAS (Rundfunk im amerikansichen Sektor) auf die Jesus Christus Kirche als möglichen Aufnahmesaal für das RIAS-Symphonie-Orchester (heute das DSO) aufmerksam geworden. Der Rundfunk errichtete hier ein Tonstudio, welches bis heute genutzt wird. Der Kirchenraum diente  und dient seitdem vielen hochkarätigen Musikern für Aufnahmen: u.a. Furtwängler, Karajan, Mutter, Freni, Richter, Abado, Levit.
 
Eine herrliche und typisch Berliner Nachkriegsgeschichte also, die Ihren Ursprung in einer guten Architektur mit noch besserer Akustik hat. Der technische Grund: Durch Schlitze gelangen die Schallwellen in einen Dachhohlraum und die tiefen Frequenzen können somit absorbiert werden. Dies bewirkt eine tatsächliche Nachhallzeit von 1,5 Sekunden. Das ist sehr kurz und dadurch sind Stimmen und Töne auch in Ensembles deutlich einzeln erkennbar und gut zu unterscheiden. Es entsteht ein akustisch klarer und heller Raum. Das Gebäude wird zu einem Klangkörper und eigentlich zu einem akustischen Mittel. Hut ab vor dem Architekten, der sich trotz von den Warnungen eines Fachmanns nicht beirren hat lassen. Ob nun aus Sturheit oder weiser Voraussicht. Es könnte ja durchaus beides vorkommen.
 
Ich bin auf die Kirche über mein Interesse für Musik dank Thomas aufmerksam geworden. Es bleibt für mich sehr bemerkenswert, was so ein einfacher Hohlraum hinter einer Verschalung ermöglicht. 
 
Literatur:
Helmut V. Fuchs: Raumakustische Gestaltung von Umgebungen zum Darbieten, Aufnehmen und Wiedergeben von Sprache und Musik, In: Bauphysik, 6/07, S. 398–406
Wikipedia

zur Person: 
Andrea studiert nach Abschluß Ihres Architekturstudiums an der TUM Freie Kunst bei Olaf Nicolai an der Kunstakademie in München. Bei uns im Büro hat sie die schöne Aufgabe, die Vernturiblätter zu erstellen. Wir sind sehr froh darüber und hoffen auch in Zukunft viele diese Bilder machen zu können. Ideen gibts ohne Ende.
Thomas Gerstmeir, 20.12.2022
Collage: Andrea Veselá

One thought on "Dezember 2022"

  1. Mumelter sagt:

    Lieber Thomas,
    hochinteressante Geschichte.
    Leider für uns grad ein Monat zu spät, denn wir waren im November in Berlin. Viel gesehen aber nie genug. Wir fahren bestimmt nächstes Jahr wieder hin.
    Danke Stephanie und Michael

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