Januar 2018

Das ehemalige Fiat-Werk „Il Lingotto” in Turin Lingotto
von Henning Koepke

Zum ersten Mal hörte ich von dem Gebäude in einer Vorlesung zur Architekturgeschichte. Fiat hatte bereits 1915 entschieden, ein Automobilwerk nach amerikanischen Vorbild zu bauen. Geplant von Giacomo Mattè-Trucco wurde das Werk einschliesslich der beiden Auffahrtsrampen bis 1926 fertiggestellt.
Die Autos wurden auf 5 Geschossen montiert. Als das Auto schliesslich im Obergeschoss fertiggestellt war, wurde es noch eine Etage höher aufs Dach gefahren – zu einer ersten Probefahrt. Diese Teststrecke auf dem Dach in 28m Höhe hat eine Länge von 1.200m und ist für eine Höchstgeschwindigkeit von 90 Km/h ausgelegt. Charakteristisch sind die überhöhten Kurven an den beiden Enden des Ovals.
Dort oben zu stehen, mit einer gut 500m langen Gerade und der überhöhten Wende vor Augen ist ein ganz besonderes Erlebnis! Nach Auflassung der Produktion im Jahre 1982 wurde es Dank Giovanni Agnelli, der die Initative zur Auslobung eines Wettbewerbes gab, von Renzo Piano umgebaut. Nun beherbergt das Gebäude Hochschuleinrichtungen, ein Hotel und Büros sowie ein Einkaufszentrum. Renzo Piano realisierte auf dem Dach des Gebäudes zwei Additionen, einen gläsernen Konferenzraum sowie einen weiteren Zubau, der die Agnelli Kunststiftung beherbergt.
Vor einigen Jahren war ich mit meiner Familie dort. Die Südrampe war damals noch nicht öffentlich zugänglich. Wir sind durch eine wohl versehentlich unverschlossene Stahltür zuerst zur Rampe und dann weiter aufs Dach zur Teststrecke gelangt. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein, samt Patina von Staub und Tauben…
Eine Automobilbau-Kathedrale – die filigrane Tragstruktur, besonders der Kurvenbereiche, erinnerte mich an die Fotos von Karl Blossfeldt, der etwa zeitgleich zur Entstehung die Strukturen von Pflanzen dokumentierte. Aus dem Dunkel windet sich die Rampe nach oben zum weissen Licht. Mittlerweile ist die Südrampe und der weitere Zugang aufs Dach zur Teststrecke für jedermann zugänglich.

zur Person:
Schon lange macht Henning Fotos von unseren Projekten – mit Kathedralen können wie leider noch nicht dienen. Henning aber liefert bereits jetzt schon immer sehr gute Fotos. Wir hoffen noch sehr viel bei Ihm beauftragen zu dürfen und bedanken uns für den gelungenen Beitrag.

Foto: Henning Koepke, München