Juli 2018

Expopavillon, 2000, Hannover
von Achim Kammerer
Prolog: Mein erster Gedanke ging zu „Nordic“, einer Kunstausstellung in Wien in der ein Künstler ein Häuschen in der Natur Norwegens aufgestellt hat, das außen mit einer Tapete bekleidet war. Für ihn der Ausdruck, dass die ganze Welt sein Wohnzimmer sei. 

Trip mit Pavillon
Als ich im Jahr 2000 mit meinem besten Freund auf die Expo nach Hannover gefahren bin, hatte das neue Millennium noch seine Verheißung von Umbruch, Aufbruch und Zukunft mit einem leicht unbehaglichen Gefühl als ob Stanley Kubricks „2001 Odyssee im Weltraum“ aus dem Jahr 1968 plötzlich zur Wirklichkeit werden würde. So waren wir aufgebrochen neue Ideen zu entdecken, die uns inspirieren würden. Wir haben verrückte Menschen getroffen die uns in eine sehr abgefahrene Stimmung versetzt haben. Die Erlebnisse und Eindrücke auf der Weltausstellung, mit selbstfahrenden intelligenten Robotern, haben ihr Übriges dazu beigetragen. Und dann war da dieser niederländische Pavillon von MVRDV.

Nur wenige Gebäude haben mich bisher so umfassend beeindruckt. Umfassend, weil eben nicht nur die äußere Erscheinung spektakulär war, sondern mehr noch das theoretische Konzept: die rigorose Idee der gestapelten Landschaften als visionärer Ansatz für Verdichtung, für eine mögliche Entwicklung von „Land“. Aus ersten Veröffentlichungen kannte ich das Konzept bereits, so zum Beispiel aus dem wundervollen EL Croquis über die noch jungen Holländer. Oder auch ihr Buch FARMAX, bereits 1998 erschienen, eine Sammlung an Ideen zur Verdichtung, mit Formeln und Diagrammen, aufgepixelten Zeichnungen und Bildern, Grafiken und großen Texten, war so inspirierend und fesselnd während meines Studiums. Ein Kompendium des freien Denkens. Der „Stacked Park“ war hier bereits angelegt, mit seinem Programm zu Struktur, Wasser, Energie und Erschließung. Und einer Skipiste im 4.Stock, noch lange vor BIGs Powerplant. All diese Überlegungen basieren natürlich auch wieder auf Werken und Schriften, wie zum Beispiel „Delirious New York“ von Rem Koohlhaas mit Verweis auf „Das Theorem von 1909: Der Wolkenkratzer als utopisches Instrument zur unbegrenzten Gewinnung von Neuland an einem einzigen Standort.“ (Zeichnung von A.B. Walker im Life Magazin) OMA als Keimzelle von MVRDV oder BIG. Große Namen in großen Lettern. 

Aktuell ist wieder eine Nachnutzung für den Expo-Pavillon in Planung. Ein Projektentwickler möchte für die angesiedelten Hochschulflächen zusammen mit MVRDV um die 350 Mikro-Apartments neu errichten und im Pavillon gemischte Nutzungen für das studentische Areal schaffen. Neu entstanden ist übrigens aktuell ein Gebäude mit sichtbarem Bezug darauf, das modulare Forschungsgebäude NEST in Dübendorf.

Das theoretische Konzept des Stapelns ist in meiner Vorstellung viel weitreichender, als die bloße Idee des immer höheren Wolkenkratzers in möglichst neuer Form. Er lässt mich träumen von einer Zukunft, in der mit unserem Boden und unserer Natur behutsamer umgegangen wird. Eine endliche Ressource. Die Welt als unser größtes Haus. Deshalb braucht unser Bauen eine radikale Veränderung, eine Veränderung unserer verkrusteten Vorstellung von Häusern. Eine Revolution. Und deshalb ist mein Haus des Monats kein Haus.

Achim Kammerer, studio lot

zur Person:

BRAVO! Auch eine Ikone darf mal ein Haus des Monats sein. Auch wir waren damals sehr begeistert, zum Ende unseres Studiums. Ich erinnere mich noch an den Schweizer Pavillon und registriere jetzt erst den unglaublichen Kontrast in Architektur und Inhalt der beiden Pavillons.
Was Achim alles politisch in den Pavillon richtigerweise hineinliest, ist leider – auch 18 Jahre danach – nicht überall, wenn überhaupt angekommen. Dabei wären es doch lösbare Probleme, die damit angesprochen werden. Tragisches Schicksal einer wahrscheinlich als abgehobene Architektur missverstandenen Idee eben.
Achim selbst saß schon mit mir im Kunstleistungskurs und Matheabitur. Im Gegensatz zu mir, war er sich bereits in der 10. Klasse sicher darüber, Architekt werden zu wollen und dies auch zu kommunizieren. Ob dies wirklich eine Auswirkung auf meine Berufswahl hatte, weiß man nicht. Initial, darüber nachzudenken war es auf alle Fälle.
Wir danken Achim für diese Positionierung!

Foto: Joop van Reeken Fotografie, NL-Dinxperlo