März 2020

Diesesmal: Matteo Pelagatti
via delle Orsole 4, Milano

Attraktivität (lat. „attrahere“ für ‘an sich ziehen, anziehen’). Anziehungskräfte lassen sich auf Grund des eigenen subjektiven Wertes und dessen komplexen Hintergründe, selten auf einen klaren Auslöser zurückführen. Soeben fällt es mir besonders schwer darzulegen, was mich an einem lauwarmen Märztag vor rund vier Jahren, genau bis zu diesem Haus im Stadtkern Mailands angezogen hat. Sicher ist, dass ich damals für diese besondere türkise Gestalt sofort Empathie empfunden habe.

Heute nehme ich dieses Haus als Symbol für eine architektonische Haltung wahr.
Diese lässt sich für mich in drei Wörter zusammenfassen:

Akzeptanz (lat. „accipere“ für ‘empfangen, annehmen, billigen’). Das respektvolle, freudige Umgang mit den vorliegenden Gegebenheiten, zeigt sich hier durch die feinfühlige doch eigenständige Ergänzung im gewachsenen, vielschichtigen städtebaulichen Kontext. Das Stadtbild wird somit als Zeitcollage verstanden, dessen Komposition viel mehr verträgt als man sich meistens zugestehen will.

Intuition (spätlat. „intuitio“ für ‘geistiges Schauen’,). Die besonders gut harmonisierende Farbpalette ist hier sicher nicht das Resultat einer mathematischen Gleichung, sondern die Erkenntnis des „bewußten Sehens“ gewesen. Möge diese uns immer vor öder Banalität hüten.

Nonchalance (franz. für ‘nicht heiß sein, nicht beunruhigt werden’). Die von den meisten Architekten als unästhetisch wahrgenommenen Anforderungen, werden in diesem Fall mit Lässigkeit und Ungezwungenheit gelöst. Wer hat eigentlich gesagt, dass man Technik immer verstecken muss? Die Inszenierung der Rauchröhren entlang der Fassade bereichert dieses Haus mit einer Priese Authentizität.

Abspann:
Brillanz (ita. „brillare“ für ‘glänzen, sich durch besondere Begabung hervortun’). Die ursprüngliche Bankfiliale des Piccolo Credito Bergamasco, die zwischen 1957 und 1962 als Bürogebäude umfunktioniert und erweitert wurde, soll nun nach langem Leerstand erneuert, saniert und umgeplant werden. Um das Potential der vorhandenen Struktur auszuloten, wurde 2017 ein internationaler Wettbewerb ausgelobt. Der Gewinner sieht einen kompletten Bestandsabriss vor. An Stelle dessen soll eine klare neue Volumetrie samt glänzender globaler Architektur entstehen. Chapéu.

Matteo Pelagatti
München, 01.03.2020

zur Person:
Matteo Pelagatti, gebürtig in Mailand, war dort auf der deutschen Schule und hat später in München an der TU Architektur studiert. 2018 hat er sein Masterstudium abgeschlossen und arbeitet seit dem bei mir im Büro. Er hat ein großes Talent, meine meist unsteten Gedanken zu ordnen, meine widersprüchlichen Meinungen als solche zu entlarven und meine romantischen Vorstellungen zu übersetzen in emotionale aber realisierbare Architekturen.

Er ist meist sachlich, wenn ich gefühlvoll bin und voller Inspiration wenn mir gar nichts einfällt. Er ist ein wunderbarer Widerpart sowie ein angenehmer und ehrlicher Diskussionspartner. Er liebt die einfachen, mediterranen Architekturen. Ganz nebenbei hat er auch ein feines Gespür für die Musik. Nachdem ich nirgendwo so untalentiert bin wie auf diesem Feld, bin ich sehr froh, dass er auch das musikalische Rahmenprogramm im Büro gestaltet…“

Max Zitzelsberger, 02.03.2020

Foto: Matteo Pelagatti