November 2024

dieses mal: Dr. Korinna Weber
„Es fällt nicht besonders auf, aber eigentlich ist es ganz hübsch.“
(aus dem Kinderbuch „Mein NEUES altes Haus“)

So steht es (noch) da, mein Nachbarhaus in Zürich, ein Bau von 1938 mit Mansarddach und abgerundeten, gemauerten Balkonen. Ein historisches Foto verrät den Namen „Zum Langenrain“, die Tafel auf der Straßenseite ist heute verschwunden. Doch viele Details sind noch im Original: Die geriffelten Fensterbänke aus Naturstein, das Fischgrätparkett in den Wohnzimmern oder die hölzerne Eingangstür mit horizontalen Fenstern und Ziergitter.

Es ist ein einfaches, aber gutes Haus mit 2-3 Zimmerwohnungen mit 50-70m² und leichten Varianten der Grundrisse. Der Abdruck der Wohnungen ist über die Geschosse gleich, das Angebot und Raumerlebnis jeder Wohnung variiert jedoch mit bogenförmigen Durchbrüchen, die manche der Zimmer zusammen legen.

Die Baustangen auf dem Foto verraten es für das geschulte Auge der Schweizer Baubranche: 2023 wurde bekannt, dass das Haus einem lukrativen – architektonisch schwächeren – Neubau weichen soll mit 9m²-Kleinstwohnungen für internationale Studierende. Eine Legebatterie für die nächste Generation Studis, die keine Zeit hat sich auf den nicht vorhandenen Balkonen zu sonnen. Damit wird die Gentrifizierung in dem Viertel eingeläutet, denn weitere Baustangen tauchten in den Folgemonaten bei weiteren Gebäuden in der Straße auf. Den Familien im Haus von 1938 wurde von einem Tag auf den anderen ohne Vorwarnung gekündigt, sie sind gezwungen aus dem Viertel zu ziehen, denn der Wohnungsmarkt in Zürich ist seit Jahren am Anschlag. Die Schlangen für Wohnungsbesichtigungen reichen meist weit über das Treppenhaus auf den Gehsteig hinaus.

Dass Baukultur viele Gesichter hat und nicht immer spektakulär sein muss, soll dieses dem Abriss geweihten Haus des Monats uns lehren. Und weil es so inspirierend ist, habe ich sogar ein Kinderbuch über Umbau statt Neubau darüber geschrieben, damit es die nächste Generation besser macht als wir im Moment.

Dr. Korinna Zinovia WEBER

zur Person und Beitrag:
Dass uns zu guter Letzt nach Korinnas Meinung nur noch die Hoffnung auf die Vernunft der jüngeren Generation zu bleiben scheint, ist gleichermaßen peinlich und erschreckend zugleich. Dabei hatte die Architektur eigentlich selten zuvor so eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe wie heute: die rein repräsentative Funktion scheint im Hinblick auf Nachhaltigkeit und den Erhalt lebenswerter Umwelten in den Hintergrund zu rücken. Dazu ist eine gehörige Transformation nötig, welche im Spannungsfeld von „back to the roots“ und dringend benötigten Erfindungen steht.
Manche Kollegen und Kolleginnen sprechen bereits vom Ende der repräsentativen Architektur. Wir sollten jedoch mehr die Chancen sehen als zu klagen. Dieser Beitrag macht deshalb hemmungslos Werbung für das Kinderbuch von Korinna:
„Mein NEUES altes Haus“ ist Print-on-Demand in 7 Sprachen auf www.architechne.ch erhältlich, mit handgemalten Bilder von Meruert Zharekesheva, Text und Schrift von Dr. Korinna Zinovia Weber.

Foto: Dr. Korinna Weber