Oktober 2016

Kirchenstraße 7

Es fällt auf. Es ist anders als die umliegenden Häuser. Es ist nicht besonders aufregend oder überschwänglich – aber es fällt auf. Es hat einen eigenen Ausdruck und es stellt sich die Frage wie es diesen erhalten hat. Ein Charakterkopf. Man denkt an die anonym verfassten „Untersuchungen über den Charakter der Gebäude“ aus dem Jahr 1784. Neben welchen Scherenschnitt-Porträt wohl der Schattenriss des Hauses abgedruckt worden wäre?

Das Haus steht in Nachbarschaft der kleinen Herbergshäuser in der Kirchenstraße und direkt neben dem opulenten im Jahre 1885 erbauten „Glyzinien-Haus“ an der Ecke Schloßstraße. Es ist also kein ganz kleines Haus, aber auch kein ganz großes Haus, kein Haus der Armut, wie die Herbergshäuser, aber auch kein Haus des rasanten Gründerzeitaufschwungs. Es ist ein gewisser Wohlstand, ein Dazwischen, zwischen dem alten Straßendorf Haidhausen und der Residenzstadt München. Es ist vorstädtisch und es ist gewachsen. Denn genauer betrachtet verbirgt sich hinter der einheitlichen Biedermeierfassade aus der Mitte des 19 Jahrhunderts ein älteres Haus mit Mansarddach, welches zumindest bis 1858 allein stand. Der westliche Teil zum „Glyzinien-Haus“ wurde also später mit jener verbindenden Fassade ergänzt.

Die Fassade ist schlicht, aber nicht ärmlich. Sie ist durchdacht. Die Fenster sind in jedem Geschoß ähnlich, aber doch leicht verschieden in Ihrer Höhe und der Anbindung an ein Gesims. Auch die Faschen variieren leicht. Die Fenster der Obergeschosse sind regelmäßig angeordnet. Die kleinen Fenster zum Dachboden sind hingegen versetzt angeordnet. Das linke Fenster reiht sich in die Regelmäßigkeit ein. Die folgenden sind halb oder ganz versetzt. Die „minimale Varianz“ lässt die Regelmäßigkeit nicht erstarren. Eine Erinnerung an Asplunds „Haus Snellman“ begegnet.

Im Erdgeschoss firmiert „Siegl’s Verlag und Fachbuchhandlung“, welche zu den Themen Restaurierung, Architektur und Handwerk verlegt. Ruhe, konzentrierte und bedachte Arbeit finden hier seit Jahrzehnten statt und es entsteht der Eindruck einer günstige Fügung zwischen Haus und Nutzer. Seit Mitte des 19 Jahrhunderts befindet sich das Haus in Familienbesitz. Sicherlich ist auch dieser Teil der Historie ein Grund für die sukzessive Veränderung, die es ermöglicht einen ausgeprägten Charakter zu entwickeln.

Das Haus ist ein Teil der „Münchner Stadtgeschichte“ und der „Architekturgeschichte des Umbaus“ im Allgemeinen. Einer Geschichte voller Charakterköpfe, die eventuell zu selten geschrieben, erzählt und auch gelehrt wird.

Stefan Resch, steidle architekten

Zur Person:
Man sagt, Hunde ähneln ihren Besitzern. Den Eindruck gewinne ich langsam auch beim „Haus des Monats“. Ähnlichkeiten zwischen Haus und Verfasser sind kaum zufällig.
Beide offenbaren auf den ersten Blick Widersprüchlichkeiten, die sich bei genauerer Betrachtung zu einem interessanten „Ganzen“ fügen. Ein Charakterkopf? Oder Querkopf? Keine Ahnung!
Aber auf jeden Fall gut, dass er so wie es ist! Oder umgekehrt?
Stefan, danke für Deinen Beitrag!

Siniša „Drago“ Inić, München, 29.09.2016

Das nächste Haus des Monats wird vorgestellt von:
Claudia Zitzelsberger