dieses Mal David Kučera
Schloss in Oberrain
Es ist der letzte Sonntag des Monats, und zwischen den Regenpausen hole ich mein altes Rennrad aus dem Schuppen und fahre los. Wie oft habe ich auch heute kein Ziel ins Auge gefasst. An jeder Kreuzung entscheide ich spontan, wo ich hinfahre. Diesmal bin ich auf einer Strecke gelandet, auf der ich schon vor ein paar Jahren zufällig war und seitdem nicht mehr gefunden habe. Deshalb ist meine Freude besonders groß. Über Schotterwege, durch den Wald, über eine sanfte Wiese – heute leider ohne kreischende Schwarzmilane – lande ich schlussendlich in Oberrain. Und da steht es, das Anwesen. Ich habe fast vergessen, wie sehr dieses Haus – ein altes kleines Schloss – den Ort prägt.
Das Schloss liegt auf einer kleinen Anhöhe. Durch das steile Krüppelwalmdach mit dem angebauten Turm ist es in der Landschaft sehr präsent. Die Südseite, die sich stolz Richtung Inntal zeigt, ist zu dieser Jahreszeit fast komplett versteckt hinter den großen Kastanien und Linden. Deshalb zeigt das Foto die Rückseite des Hauses, die auch ihren eigenen, einladenden Charme hat. Das Gesamtensemble aus Garten, den großen Bäume, der ungewöhnlichen Dachform, der schlichten, fein gezeichneten Fassade, dem weiten Blick im Hintergrund auf Wendelstein und Wilder Kaiser: Ein herrlicher Ort.
Nach Süden schauen nicht nur die Bewohner, sondern dorthin richten sich auch die Pläne der Bahn: Die geplante Brenner-Nordzulauf-Strecke soll nicht mal einen Kilometer vom Haus entfernt verlaufen. Für Aussenstehende ein bisschen wunderlich wirkende, handgeschriebene Billboards und farbige, zusammengenagelte Kreuze stehen mitten auf dem Feld. Sie stecken den zukünftigen Verlauf der Bahnstrecke ab und zeigen die Empörung der betroffenen Gemeinden. Obwohl ich selber von der Bahnstrecke nicht direkt betroffen bin, beschäftigt mich das Thema. Aber eine Antwort auf die komplexe Aufgabe des Mammutprojekts habe ich auch nicht. Ich bin einfach ein stiller Zuschauer. Wie wird die Umgebung beim Schlösschen in 2040 wohl aussehen? Ich hoffe, dass mindestens die Milane wieder zu sehen sein werden. Ich lasse meine Gedanken und trete weiter in die Pedale.
David Kučera
zur Person:
David ist nun endlich unser „dritte Mann“ und als Geschäftsführer mit in die Partnerschaft eingeschrieben. Das freut uns sehr. Seine durchaus bemerkenswerte literarische Ader ist uns auch noch neu. Gefällt uns aber sehr.