August 2023

Realschule Vilsbiburg
von Thomas Gerstmeir

Bauten aus der Zeit des Brutalismus haben es heute schwer: Sie gelten als schlecht sanierbar bei gleichzeitig desaströsem Dämm- und Energiestandard. Zudem entsprechen die Grundrisse oft nicht mehr heutigen Nutzungskonzepten. Die Statik ist oft so ausgelutscht, dass jede Veränderung Probleme macht. So der allgemeine Tenor.

Mit der Website sosbrutalism.org wiederum sammelt das Deutsche Architekturmuseum mit Sitz in Frankfurt Bauten des Brutalismus, bebildert diese und verfolgt den „Überlebensstatus“ der einzelnen Häuser. Sehr schön aufgemacht dokumentiert die Seite so die Ideen und Visionen einer ganzen Generation.
Und irgendwo auf der Seite, zwischen van Eyck- und Breuer-Bauten mit Ikonencharakter, fand ich letztens mit großer Freude die Realschule in Vilsbiburg. Leider war sie rot gemarkt. Das bedeutet: Verloren, der Abriss beschlossen! Weitere Recherchen ergaben, dass bereits eine neue Schule geplant ist. Die Argumente für den Abriss sind die üblichen: z. B. fehlende Barrierefreiheit, überalterte Grundrisse, schlechter Dämmstandard – „Das geht nicht mehr und man kann nicht usw.“ Wir kennen das.

Gedankenspiel 1: Die barocke Ursulinen-Realschule im Zentrum der Stadt Landshut ist bestimmt nicht immer barrierefrei gewesen, hat überalterte Grundrisse und einen schlechten Dämmstandard. Die müßte also auch weg?

Gedankenspiel 2: Die Ansprüche an Schulen ändern sich in Zukunft. Was machen wir mit all den neuen Schulen, wenn diese in 20 Jahren wieder zu klein werden und nicht mehr zeitgemäße Grundrisse haben? Abreißen?

Aber zurück zur bestehenden Realschule in Vilsbiburg: Diese besitzt z. B. eine Aula, die nicht nur in Vilsbiburg ihresgleichen sucht. Perfekter Sichtbeton in einer beinahe böhm’schen Architekturdramatik. Hier muss Vilsbiburg sich nicht verstecken. Hut ab! Und heute noch schwärmen ehemalige Schüler*innen von der Schule, speziell von der Aula. Für mich einer der besten Räume Vilsbiburgs. Ach ja, zu spät, muss ja trotzdem weg. Ist beschlossen. Schade!
Interessanterweise ist das ursprüngliche Kostenargument nun seit der letzten Sitzung des Bauausschusses wohl etwas labil geworden: 95 Mio Euro für eine Realschule, die um 100 Schüler*innen auf 1.200 erweitert werden soll? Ursprünglich war wohl sehr viel weniger angesetzt, nur leicht über einem Umbau. Damit hat man nun nicht rechnen können, steht jetzt aber blöderweise auf dem Preisschild. Begründet wird die Preissteigerung mit hohen Energie- und Baukosten. Dieser Befund ist erstmal richtig. Nicht nur im Moment, sondern auch tendenziell für die Zukunft. Und trotzdem beschließt man weiter die komplette Schule mit viel Energieeinsatz platt zu schieben, damit die im Bauwerk gebundene graue Energie freizusetzen und das anfallende Material mit viel Aufwand erst weg und dann neues Material wieder hinzukarren. Dabei werden neuerdings noch höhere Kosten erzeugt, weil Energie, wie ja richtig festgestellt wird, sehr teuer geworden ist. Ich frage mich nicht nur als Architekt: Wie bekommt man solche Schlussfolgerungen argumentiert?
Der Bauausschuss hofft nun auf Einsparmöglichkeiten. Bedeutet das nicht Kompromisse? Unter Umständen sogar sehr schmerzhafte? Führt dies eigentlich einen Neubau, bei dem man auf möglichst keine Kompromisse hoffte, nicht ad absurdum? Wollte man nicht neu bauen, um das Optimum rauszuholen und komplett frei zu sein?
Sie merken: Ich habe viele Fragen!
Übrigens ist der bestehende Bau schon ein paar Mal erweitert worden. Erweiterungen sind also prinzipiell möglich. Und ja, man muss am Bestand was tun. Aber geht das nicht auch weniger radikal? (Häuser abzureissen ist die radikalste Form des Umbaus). Ich würde sagen: Definitv ja. Und Häuser machen mehr mit, als man glaubt. Und sind fast immer sanierbar, wenn man etwas offener ist, mal Standards in Frage stellt und einen Funken Mut hat. Ich würde sogar so weit gehen: Unsere besten Projekte im Büro waren die, bei denen die Allgemeinheit gesagt hat: Das geht nicht, das hat man heute nicht mehr so. Bequem ist das allerdings leider nicht! Hier sei wieder auf die Ursulinen-Schule verwiesen: Mittlerweile um die 350 Jahre alt, hat dieses Haus viel erlebt und durchgemacht, ist öfters umgebaut und fremdgenutzt worden, z. B. als Lazarett im 2. Weltkrieg.
Eine weitere Frage bleibt offen: Ist es pädagogisch sinnvoll, Schüler*innen vorzuführen, wie man maximal Energie verballert? Oder wäre es nicht endlich mal an der Zeit, Kindern beizubringen, dass man Altes auch nutzen, umbauen und reparieren kann? Und dass das Eingehen von Kompromissen denkbar ist, ja vielleicht sogar was noch Besseres entsteht. Wir sollten diese jungen Menschen – und ihre Zukunft, die uns allen am Herzen liegt – ernst nehmen und ihnen sachlich erklären, warum es Kompromisse braucht. Nicht nur um Energie zu sparen. Ich wette, wir würden auf viele offene Ohren stoßen.
Drei meiner Nichten haben in diesem Haus einen großen Teile ihrer Schulzeit verbracht. Ich habe persönlich mal nachgefragt: Das Haus war nie ein Problem. Im Gegenteil!

Das Foto wurde uns von ALEXANDER BERNHARD zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank dafür.
www.alexander-bernhard.net

Link zur Realschule auf SOSBrutalismus

Foto: Alexander Bernhard, München

One thought on "August 2023"

  1. Helmut Müller sagt:

    Ja, Beton. Igittigitt. Welch eine Architektur- und Handwerkskunst wird da preisgegeben mit den mantraartig vorgetragenen Argumenten: Schlechte Wärmedämmung? Neue Fenster, Nutzung von Erdwärme, Wärmepumpen. Neubau mit Solar,das die Schule energieautark machen könnte. Eine coole Erweiterung mit einem Holzbau? Das wäre doch auch pädagogisch eine sinnvolle Maßnahme für eine Schule! Kinder müssen lernen, in anderen Kategorien zu denken, als Altes wegschmeißen und für kurzlebiges Neues einzutauschen! Das wäre ein schlechter Tausch.. Wahrscheinlich ist der derzeit geplante Neubau ein Betonskelett (!), das dann schamhaft hinter Gipskarton verschwindet, dieses Mal nicht igitt. Herr Landrat, Politiker: bitte kommt zur Vernunft! Wenn der Neubau aus heutiger Sicht, wo noch nicht mal Baubeginn war, wieviel teurer wird, wie wird er dann in der Bauphase? Beliebtes Spiel: billige Angebote abgeben und dann, da ist die Tinte der Vertragsunterschrift noch nicht getrocknet, den ersten Nachtrag, für jede weitere Kleinigkeit,( Lücken in der Ausschreibung, schlechter Baugrund, schlechtes Wetter, Planung nicht fertig, fehlerhaft und und und) ein gesalzenes Nachtragsangebot abgeben.

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